Im August 2011 (ja, schon eine Weile her) habe ich Kopenhagen besucht und bei dieser Gelegenheit auch das Nationalmuseum, eine großartige und umfassende Sammlung zur dänischen Vergangenheit, so umfangreich allerdings, dass ich mich auf die Abteilung für Ur- und Frühgeschichte beschränkten musste. Die wichtigsten Gründe für diesen Besuch waren der Sonnenwagen von Trundholm und (natürlich) der Gundestrup-Kessel, aber der überragende Umfang der Sammlung hat mich wirklich überrascht.
Hochspannend in diesem Zusammenhang war insbesondere die Präsentation des Sonnenwagens von Trundholm.
Der Name "Sonnenwagen" ist zunächst etwas irreführend, denn tatsächlich ist es kein Wagen, sondern die auf Räder montierte Darstellung eines Pferdes, das die Sonnenscheibe zieht. Im weiteren Sinne ist die Bezeichnung zwar nicht unrichtig, aber sie weckt völlig falsche Assoziationen mit etwa dem Sonnenwagen des Helios: Auch bei den Griechen wurde die Sonne von Pferden über den Tageshimmel gezogen, jedoch anthropomorph umgedeutet und (wie ein Mensch) in einem Streitwagen.
Abgesehen von der einmaligen Möglichkeit, ein so berühmtes Stück einmal aus der Nähe zu sehen, hat mich aber überrascht, wie es in einen weiteren ikonographischen Kontext eingebunden wurde, was die Teil-Rekonstruktion einer komplexen Sonnenmythologie ermöglichte. Konkret liegen der Präsentation dort Forschungsarbeiten von Flemming Kaul zugrunde, der den Sonnenwagen in Zusammenhang mit spätbronzezeitlichen Darstellungen von Sonnenpferden und -schiffen brachte, die sich v.a. auf nordischen Rasiermessern finden. Im Ergebnis steht die Rekonstruktion einer Sonnenfahrt, bei der die Sonne zu verschiedenen Tageszeiten von unterschiedliche Tieren und weiteren Objekten begleitet wird.
Im ersten Moment hat mich diese Interpretation sehr beeindruckt, aber nicht vollends überzeugt. Das System scheint in sich plausibel und auf einer soliden empirischen Basis (und nicht etwa durch Analogieschlüsse) entwickelt worden zu sein, aber die Interpretation ist zu detailliert und zu "glatt", um nicht Skeptizismus hervorzurufen -- bei mir jedenfalls. Skeptizismus vor allem auch deswegen, weil rein gar nichts in der historisch überlieferten Mythologie oder deren Nachklängen in späteren Märchen und Riten auf eine so starke religiöse Fixierung auf die Tagesreise der Sonne hindeutet. Diese Diskrepanz empfinde ich nach wie vor ausgesprochen problematisch. Es ist zwar keineswegs zu erwarten, dass die Überlieferungen der historischen Zeit tatsächlich die Mythologie und Religion repräsentieren, die einer gut anderthalb tausend Jahre älteren Ikonographie zugrundeliegen, aber es wäre verwunderlich, wenn überhaupt nichts davon geblieben wäre. Tatsächlich gibt es Gegenbeispiele, die zeigen, dass über ideologische, politische, soziale und religiöse Umbrüche hinweg bemerkenswerte Kontinuitäten bestehen, die in Mitteleuropa durchaus religiöse und mythologische Fragmente über fast 2000 Jahre hinweg bewahrt haben [1]. Selbstverständlich handelt es sich dabei jeweils nur um ausgewählte Teilaspekte und die Kriterien für diese Auswahl sind nur ansatzweise zu erfassen: Die in [1] genannten Beispiele berühren kosmologische Aspekte (Aufenthalt der Totenseelen und deren Wiederkehr in der Wilden Jagd) sowie Bezüge zum Erntezyklus (Erntesegen an Wodan), die bis in die Neuzeit bewahrt wurden -- ungeachtet offensichtlicher Widersprüche zur Kirchenlehre. Zumindest in diesen Punkten wäre dann jedoch wohl auch ein Fortleben spätbronzezeitlicher Traditionen (ungeachtet eventueller Diskrepanzen zu den vorherrschenden Ideen der Eisenzeit und der frühen historischen Zeit) zu erwarten. Wie dieser Widerspruch aufzulösen ist, war die große Frage, mit der ich die Ausstellung verließ, und mit der ich mich im folgenden ein bisschen intensiver beschäftigt habe: Ich habe mir Kauls (1998) "Ships on Bronzes" zugelegt, um seine Analyse und Methodik nachzuvollziehen, weitere Museen besucht, viel gelesen, ethnographische Parallelen herangezogen, und so die Zeit erlaubt, werde ich versuchen, einige Ideen dazu in diesen Blog zu setzen.
All dies nun hatte mich so beschäftigt, dass ich die großartigen Funde späterer Zeiten, wozu v.a. das Hjortspring-Boot und der Gundestrup-Kessel gehören, leider nur noch überfliegen konnte. Ich muss wieder kommen ;)
Ein Manko meines damaligen Besuchs will ich aber auch nicht verschweigen: Es gab seinerzeit keinen Museumsführer zur Ur- und Frühgeschichte. Das könnte sich mittlerweile geändert haben, denn damals war der offensichtliche Grund die in den letzten 10 Jahren zuvor erfolgte Umgestaltung um den rekonstruierten Sonnenmythos herum ... den älteren Führer (Jensen 1993) habe ich später antiquarisch erworben, einen neuen Führer gab es bis dato noch nicht.
Fußnoten
Literatur
Jacob Grimm (1875), Deutsche Mythologie, Bd. 1, 4.Auflage, Berlin.
Hochspannend in diesem Zusammenhang war insbesondere die Präsentation des Sonnenwagens von Trundholm.
Sonnenwagen von Trundholm, Tagesseite (Wikimedia) |
Der Name "Sonnenwagen" ist zunächst etwas irreführend, denn tatsächlich ist es kein Wagen, sondern die auf Räder montierte Darstellung eines Pferdes, das die Sonnenscheibe zieht. Im weiteren Sinne ist die Bezeichnung zwar nicht unrichtig, aber sie weckt völlig falsche Assoziationen mit etwa dem Sonnenwagen des Helios: Auch bei den Griechen wurde die Sonne von Pferden über den Tageshimmel gezogen, jedoch anthropomorph umgedeutet und (wie ein Mensch) in einem Streitwagen.
Abgesehen von der einmaligen Möglichkeit, ein so berühmtes Stück einmal aus der Nähe zu sehen, hat mich aber überrascht, wie es in einen weiteren ikonographischen Kontext eingebunden wurde, was die Teil-Rekonstruktion einer komplexen Sonnenmythologie ermöglichte. Konkret liegen der Präsentation dort Forschungsarbeiten von Flemming Kaul zugrunde, der den Sonnenwagen in Zusammenhang mit spätbronzezeitlichen Darstellungen von Sonnenpferden und -schiffen brachte, die sich v.a. auf nordischen Rasiermessern finden. Im Ergebnis steht die Rekonstruktion einer Sonnenfahrt, bei der die Sonne zu verschiedenen Tageszeiten von unterschiedliche Tieren und weiteren Objekten begleitet wird.
Im ersten Moment hat mich diese Interpretation sehr beeindruckt, aber nicht vollends überzeugt. Das System scheint in sich plausibel und auf einer soliden empirischen Basis (und nicht etwa durch Analogieschlüsse) entwickelt worden zu sein, aber die Interpretation ist zu detailliert und zu "glatt", um nicht Skeptizismus hervorzurufen -- bei mir jedenfalls. Skeptizismus vor allem auch deswegen, weil rein gar nichts in der historisch überlieferten Mythologie oder deren Nachklängen in späteren Märchen und Riten auf eine so starke religiöse Fixierung auf die Tagesreise der Sonne hindeutet. Diese Diskrepanz empfinde ich nach wie vor ausgesprochen problematisch. Es ist zwar keineswegs zu erwarten, dass die Überlieferungen der historischen Zeit tatsächlich die Mythologie und Religion repräsentieren, die einer gut anderthalb tausend Jahre älteren Ikonographie zugrundeliegen, aber es wäre verwunderlich, wenn überhaupt nichts davon geblieben wäre. Tatsächlich gibt es Gegenbeispiele, die zeigen, dass über ideologische, politische, soziale und religiöse Umbrüche hinweg bemerkenswerte Kontinuitäten bestehen, die in Mitteleuropa durchaus religiöse und mythologische Fragmente über fast 2000 Jahre hinweg bewahrt haben [1]. Selbstverständlich handelt es sich dabei jeweils nur um ausgewählte Teilaspekte und die Kriterien für diese Auswahl sind nur ansatzweise zu erfassen: Die in [1] genannten Beispiele berühren kosmologische Aspekte (Aufenthalt der Totenseelen und deren Wiederkehr in der Wilden Jagd) sowie Bezüge zum Erntezyklus (Erntesegen an Wodan), die bis in die Neuzeit bewahrt wurden -- ungeachtet offensichtlicher Widersprüche zur Kirchenlehre. Zumindest in diesen Punkten wäre dann jedoch wohl auch ein Fortleben spätbronzezeitlicher Traditionen (ungeachtet eventueller Diskrepanzen zu den vorherrschenden Ideen der Eisenzeit und der frühen historischen Zeit) zu erwarten. Wie dieser Widerspruch aufzulösen ist, war die große Frage, mit der ich die Ausstellung verließ, und mit der ich mich im folgenden ein bisschen intensiver beschäftigt habe: Ich habe mir Kauls (1998) "Ships on Bronzes" zugelegt, um seine Analyse und Methodik nachzuvollziehen, weitere Museen besucht, viel gelesen, ethnographische Parallelen herangezogen, und so die Zeit erlaubt, werde ich versuchen, einige Ideen dazu in diesen Blog zu setzen.
All dies nun hatte mich so beschäftigt, dass ich die großartigen Funde späterer Zeiten, wozu v.a. das Hjortspring-Boot und der Gundestrup-Kessel gehören, leider nur noch überfliegen konnte. Ich muss wieder kommen ;)
Ein Manko meines damaligen Besuchs will ich aber auch nicht verschweigen: Es gab seinerzeit keinen Museumsführer zur Ur- und Frühgeschichte. Das könnte sich mittlerweile geändert haben, denn damals war der offensichtliche Grund die in den letzten 10 Jahren zuvor erfolgte Umgestaltung um den rekonstruierten Sonnenmythos herum ... den älteren Führer (Jensen 1993) habe ich später antiquarisch erworben, einen neuen Führer gab es bis dato noch nicht.
Fußnoten
[1] Ein Beispiel ist die bis ins frühe 20.Jh. im gesamten
deutschsprachigen Raum überlieferte Wilden Jagd, deren Anführer regional
noch als Wodan (Waur, Wode, Muote usw.) bekannt war und sich so
unmittelbar an die germanische Mythologie anschließt. Nicht nur
grundlegende mythologische Vorstellungen wurden dabei bewahrt, sondern
auch komplexe Ernterituale, vgl. z.B. Grimm (1875, S. 127-130) zu
niederdeutschen Kornsegen -- immerhin fast tausend Jahre nach der
Christianisierung und beinahe vierhundert nach der Reformation. Andere
Vorstellungen, nach denen die Wilde Jagd von einer Frau
(thüringisch-hessisch Holle, süddeutsch Berchta) geleitet wird, die auch
die Seelen von Kindern aufnimmt, scheinen viel weniger mit der in der
Edda verarbeiteten spätgermanischen Mythologie vereinbar und
reflektieren möglicherweise noch älteres Gedankengut, vielleicht zu
verbinden mit der spätantik dokumentierten Göttin Hludana (Grimm 1875, S.211f.), und falls so, dann womöglich über mindestens 1700 Jahre hinweg bewahrt. Falls wir mit Grimm annehmen, dass Hludana mit der altnordischen Hlodyn nicht nur sprachlich verwandt sein sollte, sondern beide auf gemeinsames Vorbild zurückgehen, dann sind die mit ihr verbundenen Ideen bis in protogermanische Zeit, also etwa die Mitte des 1.Jt.v.u.Z. zurückzuprojizieren.
Jacob Grimm (1875), Deutsche Mythologie, Bd. 1, 4.Auflage, Berlin.
Jørgen Jensen (1993), Führer durch das Nationalmuseum. Dänische Vorzeit. Nationalmuseum Kopenhagen.
Flemming Kaul (1998), Ships on Bronzes. A Study in Bronze Age Religion and Iconography. Studies in Archeology & History 3(1&2), PNM (Publications from the National Museum), Copenhagen.
Anm. zur externen Links: Wikipedia-Inhalte haben selbstredend keinen wissenschaftlichen Anspruch, sind aber hier aufgrund ihrer vermutlich bleibenden Verfügbarkeit die am ehesten geeignete Ressource, um Hintergrundinformation einzubinden ;)
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