Das Musée du quai Branly ist ein relativ junges Pariser Museum, eröffnet erst 2006, das mehrere zuvor eigenständige völkerkundliche Sammlungen (einschließlich derer des ehemaligen Musée national des Arts d'Afrique et d'Oceanie und des Musée de l'Homme) zusammenführt und gemeinsam repräsentiert.
Noch bis zum 21. Oktober 2011 ist das Museum auch Gastgeber einer Sonderausstellung mit Leihgaben des guatemaltekischen Nationalmuseums, die versucht, einen umfassenden Überblick über die Kultur der Maya zu bieten, beginnend mit der älteren Vorklassik (2000-800 v.u.Z.), schließend mit der Postklassik. Zusätzlich ist ein eigener Korridor den modernen Maya, dem Nachleben ihrer präkolumbischen Kultur und Kunsthandwerk gewidmet.
Ich war vor einigen Wochen auf der Durchreise durch Paris. Durch reinen Zufall bin ich am Abend vorher auf die Ausstellung gestoßen, und dieser Versuchung konnte ich nicht widerstehen ... Die Maya haben von jeher eine starke Faszination auf mich ausgeübt. Einerseits liegt das sicher daran, welcher Reichtum an Ikonographie, Architektur und Mythologie gerade durch die Maya hervorgebracht wurde, andererseits aber auch an der faszinierenden und alten Schriftkultur (zumal diese, als ich zum ersten Mal von den Maya gehört hatte -- das würde ich so auf 1986-87 datieren -- noch als unentziffert galt). Über die Jahre hinweg habe ich immer wieder gern zum Thema gelesen, zumal sich der Wissensstand in den letzten 25 Jahren dramatisch erweitert hat, ist das gewissermaßen zu einem Dauerbrenner geworden. Durch Zufall kam ich nun zu meiner ersten nur den Maya gewidmeten Ausstellung.
Das Musée du quai Branly liegt in unmittelbarer Nähe zum Eiffelturm, inmitten eines kleinen, von Schilfgras bestimmten Parks, recht pittoresk und in einem reizvollen Kontrast zu den kühlen Formen des Museumsgebäudes. Der Park ist durch eine mehrere Meter hohe Schallschutzmauer aus Glas vor Straßenlärm geschützt -- was besser aussieht, als es hier klingt. Ein nettes Detail ist die Dekoration der Glaswand durch Osterinsel-Schrift. Bemerkenswert auch (und dem Hörensagen nach zukunftsweisend) die bepflanzte Außenfassade des daneben stehenden Gebäudes ...
Die Maya-Ausstellung befindet sich im East Mezzanine. Man sollte sich auf 20-30 Minuten Wartezeit beim Zugang dorthin gefasst machen (wochentags). Begrüßt wird man schon dort durch eine wunderschöne Stele aus der Endklassik, die den Herrscher von La Amelia (Petexbatún) bei einem rituellen Tanz zeigt.
Die eigentliche Ausstellung beginnt mit einer Vorstellung der Geographie und Geschichte Mesoamerikas, leider nur teilweise ins Englische übersetzt (das gilt für die ganze Ausstellung: englische Beschriftungen sind, wenn überhaupt vorhanden, stark gekürzt). Auf einem Zeitstrahl ein wohl nicht unabsichtlicher Synchro-Bug: Die Kulturen der Maya, Zapoteken, Olmeken usw. werden in ihrer zeitlichen Korrelation dargestellt, und, wenn ich den Kommentar richtig gedeutet habe, suggeriert, dass die Kultur der Maya älter als die der anderen mesoamerikanischen Völker sei. Das stimmt so natürlich nur halb und wurde vielleicht aus politischen Gründen so dargestellt. Sicherlich beginnt die frühe Vorklassik der Maya bereits vor der frühen Phase der olmekischen Kultur (ab 1500 v.u.Z.), aber das kulturelle Niveau der Maya lag das ganze 2.Jt.v.u.Z. hindurch unbestritten weit unter dem der Olmeken, so dass die Vorstellung von den Olmeken als der "Mutterkultur" Mesoamerikas (und auch der Maya) noch immer aufrecht erhalten wird (man denke an den Titel von Richard Diehls "The Olmecs. America's First Civilization" [2004]). Fairerweise hätte man die prä-olmekische Phase mit in die Chronologie einbeziehen müssen.
Das erste eigentliche Ausstellungsstück ist ein Abguss eines Tempelfrieses aus El Mirador (späte Präklassik), das als Darstellung zentraler Szenen des Popul Vuh gedeutet wird. Das Popol Vuh ist aus einem Manuskript aus dem 17.Jh. überliefert und beinhaltet eine Darstellung der Weltschöpfung, zentraler Mythen der Maya, die nach er eigentlichen Schöpfung spielen (die Heldenzwillinge im Kampf gegen die Götter der Unterwelt), die mythische Abkunft der Quiché und ihre Geschichte in der späten vorspanischen Zeit.
Das Fries aus El Mirador zeigt die Heldenzwillinge beim Ballspiel und den abgetrennten Kopf von Hunahpu, ein wunderbarer Beleg dafür, wie lebensfähig mythologische Überlieferungen sein können, selbst wenn die Kultur, in deren Rahmen sie ursprünglich geschaffen wurden, kollabiert ist. Das gilt insbesondere für das Hochland, wo schon nach dem Ende der Präklassik viele kulturelle Errungenschaften verlorengingen (die Schrift beispielsweise). Dennoch wurde gerade dort das Popol Vuh überliefert, mehr als tausend Jahre nach El Mirador, mehr als hundertfünfzig Jahre nach der spanischen Eroberung.
Die Details des Frieses werden zu einem späteren Zeitpunkt in der Ausstellung in einem Film erklärt.
Der nächste Raum ist der Präklassik gewidmet und zeigt vor allem Keramiken, daneben mehrere Steinobjekte, darunter einer der typischen Pilzsteine aus Kaminaljuyú, von denen man annimmt, dass sie auf Rauscherfahrungen mit Pilzen hinweisen. Zwei Urnen aus der späten Präklassik aus La Laguanita repräsentieren das Aufkommen des Königtums, eine Keramik in Gestalt eines umgedrehten Kopfes (wobei der Halsansatz die Öffnung darstellt) deutet auf komplexe Rituale hin. Was ich persönlich daneben gern gesehen hätte, wären Schriftzeugnisse aus Kaminaljuyú gewesen. Wahrscheinlich muss man dafür dann aber doch nach Guatemala.
Es schließen sich Objekte der klassischen Zeit an, die den größten Teil der Ausstellung einnehmen, zahlreiche Funde aus Tikal und La Laguanita, einige aus Uaxactún und weiteren Orten. Aus Uaxactún wird eine olmekische Jadefigur präsentiert, die aber erst von den Maya hier deponiert wurde. Aus Tikal sind mehrere Stücke des "mundo perdido"-Komplexes zu sehen, u.a. sehr ungewöhnliche Gefäße, auf deren Deckel Tiere gemalt sind, deren Köpfe dreidimensional ausmodelliert wurden.
Zwei Keramikbüsten mit dem typisch eckigen Kopfschmuck und Segnungs-/Verteilungsgestik repräsentieren starke Einflüsse aus Teotihuacán und haben mir persönlich zum ersten Mal einen Eindruck vermittelt, wie man sich diesen komplexen Kopfschmuck plastisch vorzustellen hat. (Bisland kannte ich das nur zweidimensional, und war mir nicht sicher, ob diese "Kastenform" vor allem in gemalter Form vielleicht nur Abstraktion ist ... nein, ist sie nicht.)
Selbstverständlich wird ein umfangreiches Repertoire an bemalter Keramik repräsentiert, teilweise im Codex-Stil. Es gibt Jadeobjekte, exzentrische Feuersteine. Ein Kieferfragment repräsentiert Jade-Einlagen in Zähne. Gezeigt werden auch Objekte der Bildhauerkunst, mehrere Stelen, hieroglyphenübersähte Panele, eine Spielrandmarkierung von einem Ballspielplatz. Das alles im Detail zu beschreiben, würde zu weit führen, ich persönlich habe es sehr genossen, diese Objekte zum ersten Mal in ihrer ganzen Struktur wahrnehmen zu können: Gefäße im dreidimensionalen Raum (nicht als Abrollung oder Aufnahme von der Seite), Hieroglypheninschriften (hatte ich mir teilweise sauberer gearbeitet vorgestellt, aber das liegt am Material), auch einige in ihrer Form oder Gestaltung ungewöhnliche Objekte (z.B. das "Logo" der Ausstellung, eine aus Muschelschalen zusammengesetzte Mosaik-Figur des Unterweltsgottes, originell auch ein Räuchergefäß, dessen Fuß teilweise durch die Arme eines Oktopus gebildet wird.)
Die Ausstellung zur klassischen Mayakultur wird an zwei Stellen durch Videopräsentationen unterbrochen. Eine erklärt das Zahlensystem, den Kalender und (ein Stückweit) die Schrift. Leider nur auf französisch und so stark umlagert, dass man kaum die darum stehenden Vitrinen (Hieroglyphensteine) anschauen kann. Ein anderes Video wird im "Music room East" gezeigt, eine sehr sehenswerte Beschreibung von El Mirador, glücklicherweise in Englisch und mit französischen Untertiteln.
Die Ausstellung zur Postklassik ist recht überschaubar. Wie in der Ausstellung insgesamt dominieren Keramiken. Sehr interessant waren für mich frühe Metallbeile, die in ihrer Form aus der hiesigen Kupferzeit vertraute Formen zeigen. Ein schöner Beleg für konvergente Evolution, um mal einen Begriff aus der Biologie zu verwenden.
Es schließt sich ein Korridor an, in dem Bilder der heutigen Maya gezeigt werden, sowie ein weiteres kurzes Video, das unter anderem Bemügungen beschreibt, die Mayaschrift wiederzubelegen, beispielsweise mit Seminaren und einer Schreibsoftware. (Soweit ich das erkennen konnte, war zumindest dieser Teil basierend auf Teilen von David Lebruns "Breaking the Maya Code".) [Ein schönes Beispiel für den Unterschied zwischen Bedeutungsäquivalenz und Übersetzungsäquivalenz: "The language of the hieroglyphs is to modern Maya what is Chaucer to Modern English" (Audio) wird zu "... Rabelais ..." (Untertitel). Ein darauf trainiertes statistisches MÜ-System könnte schon lernen, dass "English" mit "Francois" übersetzt wird.]
Die Ausstellung ist auf eine Stunde konzipiert. Betrachtet man alles in Ruhe, benötigt man deutlich mehr. Bei mir waren es knapp zwei Stunden. Insgesamt: Absolut faszinierend und sehr empfehlenswert. Problematisch ist das teilweise Fehlen englischer Übersetzungen. (Wer ein bisschen weiß, worum es geht, kann das Französisch zwar gut deuten, aber trotzdem bleiben manchmal Fragen.) Das setzt sich leider auch bei den Büchern fort, die man im Museum und im Museumsladen findet.
Im Museumsladen findet sich eine unglaublich breite Auswahl an Literatur zu den Maya (eine vergleichbare Dichte an Büchern zu diesem Thema gibt es im deutschsprachigen Raum nicht einmal ansatzweise), mehrere Bildbände, Reiseführer zu wesentlichen Stätten wie Tikal, Übersetzung kolonialzeitlicher Texte (u.a. Popol Vuh, de Landas "Relacíon de las cosas de Yucatán"), Grammatiken und Wörterbücher mehrerer Maya-Sprachen (u.a. Tzeltal, Quiché, glaube ich, auch), mehrere Einführungen in die Hieroglyphenschrift, allgemeine populärwissenschaftliche Bücher (z.B. die Übersetzung von Nikolai Grubes "Könige im Regenwald"), mehrere Abhandlungen zu speziellen Themen (u.a. allein zwei religionshistorische Studien), ethnographische Studien, Kinderbücher zum Thema, Video-Dokumentationen. Leider aber ist das alles französisch, kein einziges englisches Buch.
Das gilt auch für den Katalog, der etwa zur Hälfte aus allgemeinen Beschreibungen von Aspekten der Maya-Kultur besteht, zur Hälfte aus der Präsentation der Ausstellungsgegenstände.
Insgesamt aber ein wirkliches Highlight.
Mehr (und offizielle) Informationen gibt es unter http://www.quaibranly.fr/en/programmation/exhibitions/currently/maya.html.
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